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Koh Yao Noi: Fahrstunde mit Hindernissen

Mister Sem spricht wenig Englisch. Dafür hat er freundliche Augen und einen zwei Millimeter schmalen Oberlippenbart, so einen wie Rhett Butler ihn anno dazumal auch trug. Mr. Sem drückt sich auf Englisch nur wortweise aus, ganze Sätze gibt es nicht bei ihm. Hello. Good-bye. Water? You like? You before? 

Mr. Sem vom Tha Khao Bay View Resort

Mr. Sem, mein Held. Der asiatische Rhett Butler. © www.kohyaotravel.com

Letzere Frage –  „You before?“ – bezog sich auf meine Fähigkeiten, einen Motorroller zu fahren. Ob ich das schon mal gemacht hätte, wollte er wissen.
„Ähem … Nein“. Half ja nix, Mister Sem anzulügen. Er würde es eh rausfinden, nachdem nicht mal wusste, wo man überhaupt Gas gibt bei so einem Scooter. In meiner Schulzeit fuhren nur die Coolen eine Vespa, die Punks und Alternativen ritten auf einer Puch Maxi an. Ich war weder cool noch Punk. Ich war schlicht zu feig. In einem Auto, umhüllt von einer Tonne Blech, fühlte ich much immer sicherer aufgehoben. 

Mr. Sem ignorierte meine Antwort. Dann holte er den Schlüssel aus der Hosentasche. 

„Sie wollen ihn mir trotzdem ausleihen, obwohl das ich noch nie in meinem Leben gemacht habe? 

Zu viele Worte auf einmal. Keine Antwort. Statt dessen deutete Mr. Sem mir, die Treppen durch den Garten zu nehmen, um auf der Straße auf ihn zu warten.

„Go. Wait.“
 „Okay“.

Mitten auf der Hauptstraße gab Mr. Sem mir meine erste Fahrstunde.

Eine Minute später rollte er auf dem Scooter an. Und gab mir – mitten auf der Hauptstraße, wo gerade ein Lieferwagen mit Eiern und Gemüse vorbeibretterte – meine erste Fahrlektion. Auf Koh Yao Noi, der kleinen Insel 30 Minuten mit de Speedboot von Phuket entfernt, herrscht wie überall in Thailand Linksverkehr. Aber anders als auf den übrigen Eiländern ist hier vergleichsweise wenig los. Alle drei bis Minuten kommt ein Fahrzeug vorbei, manchmal ist auch nur ein freundlicher Hund, eine streunende Katze oder ein ausgebüchstes Huhn. 

 

Mein Scooter auf Koh Yao Noi. @Waltraud Hable

Mein Honda-Flitzer auf Koh Yao Noi. Wir haben uns gegenseitig nicht umgebracht. Trotz Linksverkehr, Regen und Talentfreiheit beim Fahren.

 

Der erste Versuch endete mit Karacho im Straßengraben. Ich hatte zu beherzt am Gasgriff gedreht, das Ding schoss mit mir wie eine fehlgeleitete Rakete davon, einmal quer über die Fahrbahn. Mr. Sem wollte dennoch weiter an mich glauben. Stoisch schob er den Scooter wieder aus dem Graben, wischte den regennassen Schlamm ab, und ignorierte geflissentlich die Kratzer. Ich inspizierte währenddessen mein verdrehtes Knie. Dann fragte Mr. Sem: „Want …?“ und griff sich mit beiden Händen an den Kopf. Einen Helm? Ja, bitte. Vielleicht keine so schlechte Idee. 

Mit einer blitzblauen Plastikschlüssel am Kopf und drei Minuten Fahrpraxis überließ er mich dann mir selbst. Meine Oma hätte gesagt „Geh, aber geh mit Gott“. Hier setzt man mehr auf Allah. Egal, ich konnte jede Hilfe brauchen. 

„Muss ich was unterschreiben?“, wollte ich noch von Mr. Sem wissen und zeichnete mit den Fingern meine Unterschrift in die Luft. Zu viele Worte. 

„No“, sagte er und schickte sie an, zurück ins Haus zu trotten. 

„Führerschein-Kopie?“, fragte ich und fischte ich meine Fahrerlaubnis aus der Tasche.

„No“, wiegelte Mr. Fem mit einer Handbewegung ab. 

„Soll ich Sie gleich bezahlen?“, wedelte ich mit der Geldbörse herum. Er wollte 250 thailändische Baht für einen ganzen Tag, inklusive Treibstoff, umgerechnet rund 7 Euro. 

Vertrauen ist gut, Kontrolle machte es für Mr. Sem nicht besser.

„No, no. Later.“ Mr. Sem ist einer der Besitzer des Tha Khao Bay View Resorts, einer sehr einfach gehaltenen Holzbungalow-Anlage, die auf einer dschungelgrün verwachsenen Anhöhe über dem Meer thront. Vertrauen ist gut, Kontrolle machte es für ihn nicht besser. Ich war hier Gast, mehr musste er nicht wissen. Am Ende wollte er ohnehin nur 200 Baht von mir annehmen. Für seinen Geschmack war zu früh zurückgekehrt, zumindest denke ich, dass er das mit den hochgezogenen Augenbrauen zu sagen meinte. Er erließ mir 50 Baht. Wahrscheinlich wäre er auch mit 150 Baht einverstanden gewesen, hätte nur noch den Betrag in der Tasche gehabt. Ich war schockverliebt in diesen Mann.

Koh Yao Noi ist das, was es eigentlich nicht mehr gibt: Sie ist eine ursprüngliche Insel, mitunter hat man die Strände ganz für sich allein.

So ging es mit der ganzen Insel: Koh Yao Noi, östlich von Phuket in der Phang Nga Bucht gelegen, ist das, was es in Thailand eigentlich nicht mehr gibt. Die Insel ist noch ursprünglich. Viele leben vom Fischen, andere betreiben Kautschuk-Plantagen, dazu gibt kleine Landwirtschaften, bestehend aus ein paar Hühnern oder einer angeleinten Kuh. Nachtleben sucht man hier vergebens, das Highlight ist der tägliche Gemüse- und Fischmarkt, wo es auch ein paar Alltagsgegenstände, Klamotten und Werkzeug zu kaufen gibt. Mitunter hat man die Strände ganz für sich allein. Es finden sich zwar reihum Touristenbungalows, sogar ein Luxusressort hat man hierhin gebaut. Aber weil sich bei Ebbe das Meer extrem weit zurück zieht – man kann dann mit etwas Glück auf einer freigelegten Sandzunge zur Mini-Insel Koh Nui rüberspazieren – und weil auf muslimisch geprägten Insel im Großteil der Lokale kein Alkohol ausgeschenkt wird, lassen viele Reisende Koh Yao Noi links liegen. 

 

Koh Yao Noi. Im Hinterland viel Grün, vorne wenig Wasser. Bei Ebbe zieht sich das Meer weit zurück.

 

Koh Yao Noi, genauer die Tha Khan Bucht. Hier hat man den Strand für sich ganz allein.

 

Ich kann guten Gewissens behaupten: Auf Koh Yao Noi passiert den ganzen Tag nichts. Niente. Nada. Man kann eine Schorchel-Bootstour zu den umliegenden Inseln buchen, Muscheln sammeln, spazieren, mit dem Scooter herumdüsen und sich nicht verfahren, die Hauptstraße geht quasi einmal im Kreis. Aber das war’s im Wesentlichen. Und genau dieses Nichts macht den Kopf frei für die wunderbaren Menschen hier, die einen auf der Straße freundlich grüßen, als gehöre man zur Inselgemeinschaft dazu. Das ist etwa der Lady Boy im Restaurant direkt am Strand, der mit seinen 1,80 Meter ungewöhnlich groß für einen Thai is und bei unserer Begegnung mit soviel Anmut ein wunderschönes Maxikleid trug, dass ich neidvoll hinterblickte, auf ihn und auf sein Kleid. Der Mann, der mir immer Frühstück brachte, war wiederum Mr. Ling, einen rund 50-Jähriger mit Faible für Fußball-Jerseys und langer Locke im Nacken, die Frisur trug mein kleiner Bruder als er ein Kind war. Mr. Ling hat das charmanteste Zahnlückenlächeln und immer ein „Have a good day“ auf den Lippen.

Wenn er das sagt, muss ich an Monika denken. Eine sehr resolute Slowakin, die ich beim Vipassana-Seminar kennengelernt hatte – dunkle, lange Mähne, Ex-Stewardess, um die 40, ein Vollweib. Sie rümpfte die Nase, als sie von meinem Ziel hörte: „Du fliegst nach Phuket?!“. Monika ist seit zwei Jahren auf Weltreise, sie glaubt, ihr macht man nichts vor. „Nein, Phuket ist nur der Zielflughafen, ich bin auf einer winzigen Nebeninsel, Koh Yao Noi.“ Monika ließ sich nicht  überzeugen. „Also mir … ist das da unten bei Phuket alles zu touristisch.“ Ich muss ihr demnächst eine Nachricht schreiben und sie vom Gegenteil überzeugen. Manchmal muss man resolute Slowakinnen zu ihrem Insel-Glück zwingen. 

Vor der Insel leben Fischer auf Hausbooten.

 

Das obligate Selfie. Peinlich, aber so ist das nun Mal beim Soloreisen. Kein Instagram-Husband da, der einen stundenlang ins beste Licht rückt 🙂

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