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Koh Yao Noi: Schlangen-Orakel und ein Spray gegen Alles

Ich hatte die Hütte für mich alleine gebucht. Nur meine Wenigkeit unter dem Palmweldel-Dach, bei dem die Baumeister großzügig über Ritzen und Spaltöffnungen hinweg gesehen hatten. Dem thailändischen Dschungel war das mit dem Einzelbelegung wurscht. Er lieferte ungefragt ein paar Mitbewohner dazu: Zwei streitlustige Eichhörnchen etwa, die sich Tag und Nacht am Dach fetzten. Dazu eine Fledermaus, die bei Einbruch der Dunkelheit genau fünf Mal um das Häuschen flog und dann wieder ins Nichts entschwand. Und natürlich war da auch ein Gecko, ein Jing Jok, wie die Einheimischen den Superheld der Tierwelt nennen, der elegant an der Decke laufen kann und wie ein 24-Stunden-Putzdienst alles eliminiert, was kleiner als er ist und sich bewegt: Schaben, Spinnen, Heuschrecken, Moskitos.

„Mein“ Haus-Gecko war verhältnismäßig groß, länger als meine Hand. Er hatte einen riesigen Kopf und schien in den Zaubertrank gefallen zu sein, so wie Obelix aus Asterix & Obelix. Jedenfalls hatte er einen gewissen Wiedererkennungswert und in meinem Holzbungalow gab es für den insektensüchtigen Staubsauger viel zu tun. Aber vor allem hatte mein Gecko ein großes Ego. Wagte ich es nach der Abenddämmerung, zu seiner Hauptjagdzeit, die Hütte zu betreten wagte, regte er sich mörderisch schnatternd auf. 

 

Mein Gecko, der Obelix unter den Hausgeckos. Großer Kopf, großes Ego.

 

Diese Echse war friedfertiger und ein Poser. Sie hat nur die Veranda bewohnt.

 

Viel Grün, viel Holz, Palmwedel-Dach. Eigentlich idyllisch.

 

Ausblick von meiner Veranda.

 

Ich sagte nichts. Ich ließ ihn machen. Bis wir neue Gäste bekamen. Als ich mich in der zweiten Nacht aus den Bettlaken schälte und die Tür zu meiner Nasszelle aufstieß – das Wort Badezimmer verdiente die fensterlose Dusch- und Toilettenloch nicht – huschten zwei riesige Kakerlaken über den gefliesten Boden. Ich wich notgedrungen nach draußen und auf die Freilufttoilette aus. Man muss sich das Leben nicht unnötig schwer machen, schon gar nicht schlaftrunken und halbnackt. Sauer auf den Gecko war ich trotzdem. Wo war das Vieh, wenn man es brauchte? Ab diesem Zeitpunkt wurde jeder Ausflug auf die Toilette, jedes Zähneputzen, jedes Händewaschen zum Nervenkitzel. Hockten die Kakerlaken auf der Klospülung? Im Waschbecken? Und wieviele waren es diesmal? 

Eine schwarz-glänzende Schlange verschwand im Holzspalt des Fußbodens.

Dabei waren die Schaben mein kleinstes Problem, wie ich nur 24 Stunden später lernen sollte. Denn beim abendlichen Versuch, das Bad zu entern, bewegte sich plötzlich neben dem schimpfenden Gecko und den Kakerlaken auch etwas anderes: eine schwarz-glänzende Schlange, die soeben wie in Zeitlupe im zwei fingerbreiten Holzspalt zwischen Tür und Fußboden verschwand.

Mein Herz schlug bis zum Hals. In diesem tropischen Streichelzoo weiterhin übernachten? Nur über meine Leiche. Das war ein Fall für Mr. Sem, den Besitzer der Bungalowanlage.

 

Mr. Sem. Er hat keine Angst. Er hat nur ein Lächeln. Foto-Credit: kohyaotravel.com

Mr. Sem war ein freundlicher Mittfünfziger, der nur bruchstückhaft Englisch sprach und einen Schnauzer wie Rhett Butler trug. Ich mochte ihn auf Anhieb. Im Dunkel der Nacht rannte ich zum Haupthaus, wo er und Mrs. Sem sich  gerade anschickten, zu Bett zu gehen. „Schlange!“ rief ich aufgelöst. Und Mr. Sem griff sich heldenhaft einen Besen. „Nein, Sie verstehen nicht! S-n-a-k-e! Schlange!“, versuchte ich es noch einmal und gab gefährlich klingende Zischlaute mit gebleckten Zähnen von mir. Mr. Sem rüstete nach, indem er sich eine Dose Kakerlaken-Killerspray und seine Frau fasste. Dann trabten wir zu dritt zurück zu meinem Bungalow, wo von der Schlange natürlich nichts mehr zu sehen war. Auch die Kakerlaken hatten sich vertschüsst. Nur der fette Nichtsnutz-Gecko saß noch da. Ich kam mir dämlich vor.

 

Mr. Sems erste Waffenwahl: ein Besen.

 

Aufgerüstet hat Mr. Sem dann mit Kakerlaken-Spray. „Hilft gegen alles.“

 

Mr. Sem verschwand unter der Hütte, die auf Stelzen stand, und leuchtete mit Hilfe seiner Stirnlampe jede Ritze aus, um mal hier, mal da, Chemie zu sprühen. „Okay“, beschloss er irgendwann. Er hatte getan, was er tun konnte. Mrs. Sem war da patenter, sie gab nicht so schnell auf. Unerschrocken stapfte sie mit der Taschenlampe ihres Handys im verwilderten Gebüsch herum, in ihrer Hand eine 30 Zentimeter Leiste aus Stahl, keine Ahnung, wo sie die herhatte. Dann ging alles schnell. Die Dame des Hauses schrie: „Hier!“, ihr Göttergatte nahm ihr die Stahlleiste ab, holte damit weit aus und drosch dreimal auf den Boden ein. Dann hielt er triumphierend einen rund einen Meter langen, schlaffen Schlangenkörper hoch, der im Licht des Mondes schwarz und feucht glänzte. „Dead now“, meinte er. „Tot jetzt.“ Und setze nach: „Nicht gefährlich: Diese Schlange frisst Insekten“. Eine Art Blindschleiche. Ich sagte nichts. Ich fühlte mich elend. 

Das tote Ding in seiner Hand war nicht meine Schlange. Ich war zu beschämt, ihm die Wahrheit zu sagen.

Denn Mr. Sem mochte zwar eine Schlange erschlagen haben, aber es war definitiv nicht meine Schlange. Mein ungebetener Badezimmergast war kleiner gewesen als der Kadaver hier. Doch ich war zu erschöpft und zu beschämt, um Mr. Sem die Wahrheit zu sagen. „Du sollst nicht töten“, hämmerte es in meinem Kopf. Der indische Guru im Vipassana-Kurs (nachzulesen hier) hatte uns zehn Tage diesen Grundsatz eingebläut. Ich hatte seitdem nur noch vegetarisch gespeist, nicht mal einen Moskito erschlagen, die Gehirnwäsche hatten definitiv Spuren hinterlassen. Und auch wenn Mr. Sem nachweislich der Mörder war und ich kein Schlangenblut an meinem Händen kleben hatte – ohne meine Hysterie würde sich das unschuldige Tier noch am Leben erfreuen. Ich wollte nichts meucheln, ich wollte nur nur das Gefühl, dass ich in dieser Nacht sicher war. Ein Stopfen der größten Ritzen im Bungalow hätte mir fürs erste schon gereicht.

„You okay?“, fragten Mr. und Mrs. Sem. Meine Unterlippe bibberte. „Denke schon.“ Das Alleinreisen hat viele Vorteile. Nachts in eine spärlich beleuchte Dschungel-Hütte zurückzukehren, die eben noch von einer Schlange heimgesucht worden war, zählt nicht dazu. Ich fühlte mich schutzlos und zum ersten Mal irgendwie einsam. Das Gefühl kannte ich bis dato nicht. „Kann ich bitte heute Nacht woanders schlafen? In die alte Bleibe will ich nicht zurück.“ Minuten später geleiteten die Sems mich in eine Nachbar-Hütte, ein größeres Modell, eigentlich für drei Gäste gedacht und moderner in der Ausstattung. Auch hier war ein Gecko, dem Vernehmen nach ein ziemlich großer sogar, seine Laute klangen voll und stark. Ich fischte Ohrenstöpsel aus den Taschen meiner Shorts und legte mich, so wie ich war, ohne Zähneputzen und voll bekleidet, schlafen. Nur nicht hören, was rundherum um mich passierte, das war meine Strategie. Wenn du eine Situation nicht unter Kontrolle hast, ergib dich ihr.

Am nächsten Morgen sah die Welt wieder besser aus. Mrs. Sem tischte mir zum Frühstück einen wagenradgroßen Banana Pancake auf und erklärte, dass ich gerne für die zwei verbleibenden Nächte meines Aufenthalt im schöneren Bungalow hausen durfte, ohne Extrakosten. Ich nahm eine Dusche, dann siedelte ich mein Gepäck vom alten Bungalow in den neuen um. In der Decke über mir rumpelte der Gecko. Ich ignorierte ihn und legte mich in die Hängematte der Terrasse, um endlich mein Buch weiterzulesen. „American Gods“ von Neil Gaiman. Eine fabelhaftes Epos über machtsüchtige Götter, Menschen, Tote, die nicht tot ein wollen, Mytholgie und Verderben. Ein Buch, in dem man irgendwann zwischen Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann. Auf Seite 51 riß mich ein lauter Rumms in die reale Welt zurück.

„Komisch, wie heftig dieser Gecko randaliert“, dachte ich und lugte durch die Terrassentür ins Innere des Bungalows, wo ich die Schwanzspitze in einem Loch in der Decke zu erkennen glaubte. 

Was sich vor mir auftat, schien surreal. Das war kein Gecko!

Sechs Buchseiten später wieder ein Rumms. Etwas war zu Boden geplumpst. Etwas Großes, Schweres dem Vernehmen nach. Irritiert spähte ich durchs Fensterglas. 

Was sich vor mir auftat, schien surreal. Da war kein Gecko. Da war eine 1,5 Meter lange, giftgrüne Schlange, die aus dem Loch in der Decke gefallen war. Direkt neben meinen Koffer. Den Kopf hielt sie merkwürdig hochgestreckt. Was daran lag, dass sie offenbar mit dem Vorhang kämpfte. Die Schlange hatte ihre Zähne in den Stoff gehauen und wiegte mit den Bewegungen des Vorhangs hin und her. 

Ich raste erneut zum Haupthaus. Mr. Sem war nicht zugegen, aber sein wohlgenährter Teenager-Sohn hielt die Stellung und spielte mit dem Handy rum. „Schlange! Grün!“, rief ich aufgebracht. Der dicke Junge hievte sich ohne Eile aus dem Sessel und trottete zur Garage, um sich eine Flasche Kakerlaken-Spray zu greifen, das schien hier das Allheilmittel für alles zu sein. Mrs. Sem, seine Mutter, zog sich kampfbereit ihr Kopftuch zurecht und folgte uns mit einer Machete. 

Die giftgrüne Schlange war noch immer da. Der Sohnemann wich erschrocken zurück.

Als wir vor der Verandatür standen, war die Schlange noch immer da. Gut. Ich hatte mir die Sache also nicht bloß eingebildet. Kaum, dass uns das Tier erblickte, schoss es auf uns zu, und streckte seinen Kopf das Fensterglas empor. Normalerweise suchen Schlangen bei Menschen das Weite. Aber vielleicht hatte sich das arme Ding bei seinem Fall den Kopf gestoßen und war verwirrt. Der Sohn wich erschrocken zurück, ich kletterte hysterisch auf einen Stuhl und hoffte inständig, dass Mr. Sem bald nach Hause kommen würde. Den brauchte es aber nicht. Wir hatten Mrs. Sem, die uns instruierte, die Tür zu öffnen. Ich ließ das den Teenager machen, er war noch jung, er hatte die Nerven dafür. Die Schlange zischte über die Holzdielen ins Freie – vorbei an mir, vorbei am Sohnemann und seiner Chemiekeule  – und ließ sich von der Veranda in die nächste Bananenpflanze fallen, wo Mrs. Sem mit der Machete wartete und im ersten Affekt die halbe Staude niederhackte. Die Schlange blieb heil, die Pflanzenwelt rund um Mrs. Sem nicht. Unermüdlich ließ sie die Machete durchs grüne Dickicht sausen, sie brachte nur das Grün um, sonst nichts.

Was kommt als nächstes? Eine verdammte Python, die mit mir kuscheln will?

In diesem Moment ging ein Gewitter los, mit Donner so laut, als würden Thor persönlich beleidigt sein. Regen prasselte aufs Hüttendach. Und auch bei mir brach der Damm. Ich habe seit Jahren nicht richtig geweint, keine Ahnung, wieso. Ich hab’s probiert, ich konnte nicht, zwei, drei Krokodilstränen waren das Höchste der Gefühle, auch im Vipassana-Kurs ging nicht mehr, vielleicht bin ich verkorkst. Aber jetzt flossen – zum Umgemach des Teenie-Sohnes – meine Tränen in Strömen. „Okay?“, fragt er peinlich berührt. „Die Schlange ist weg, keine Angst.“ – „Nein, ich bin nicht okay. Das Ding hat mir einen Scheiß-Schrecken eingejagt. Jedes Geräusch in dieser Hütte versetzt mich mittlerweile in Alarmbereitschaft. Wer weiß, was in der nächsten Stunde von der Decke fällt? Vielleicht eine Python, die mit mir kuscheln will?“ – „Andere Hütte?“, schlug der Sohn vor. In der Nebensaison ist auf Koh Yao Yai noch weniger los als sonst, von den rund zehn Bungalows der Familie Sem standen sieben frei. „Nein, andere Insel“, schluchzte ich. „Sobald sich das Gewitter gelegt hat, will ich fort von hier.“ Mrs. Sem sagte sanft: „Okay.“ Dann standen wir zu dritt und starrten in den Regen. Irgendwo da draußen tat die Bambusotter, mein grüner Besucher, wahrscheinlich dasselbe.

 

Suchbild: Finde die Schlange in der Banenenstaude. Mr. Sem tat es jedenfalls nicht.

 

Das Unwetter hielt uns auf der Terrasse gefangen.

 

Der Sohnemann und Mrs. Sem ziehen unverrichteter Dinge wieder ab.

 

So sah das Tier aus, das mich besuchte. Eine Bambusotter. Foto-Credit: Frank Dietrich, Flickr. Ich war zu geschockt, um zu fotografieren.

 

Was hatte das alles zu bedeuten? Ich musste Google fragen, wie jeder, der etwas nicht versteht.

Eine Stunde später, im Longtail-Boot auf dem Weg zur Nachbarinsel, atmete ich durch. Koh Yai Noi war wunderschön. Aber ich konnte nicht bleiben, alles in mir sträubte sich und witterte Gefahr. Doch ein Gedanke ließ mich nicht los. Schlangen waren eigentlich nachtaktiv und menschenscheu. Die Blindschleiche in der Nasszelle – okay. Ein Irrgänger. Kann passieren. Aber dass keine zwölf Stunden später, am helllichtem Tag in der neuen Unterkunft auch noch eine Bambusotter – eine durchaus giftige Spezies, sie erlegt Mäuse mit ihrem Gift – von der Decke fiel? Das schien mir nicht normal. Das war wie ein Fingerzeig des Himmels (okay, ich sollte definitiv weniger Neil Gaiman lesen). Was hatte es zu bedeuten? Also tat ich, was jeder Sinnsuchende in der heutigen Zeit tut. Ich googelte die Sache. Genauer gab ich drei Worte ins Suchfeld ein: „Schlange“ – „sehen“ – „spirituelle Bedeutung“. Und da stand etwas, das irgendwie Sinn machte, so schräg es auch klingt: „Schlangen stehen durch ihre Fähigkeit, sich zu häuten, für Neuanfang und Veränderung. Die Schlange zeigen einen besonderen Weg auf, mit Veränderungen umzugehen. Tritt sie in dein Leben, lehrt sie dich, in dich hinein zu hören. Öffne dich für ein intuitives Handeln. 

„Okay“, murmelte ich. „Das Universum findet also, ich soll was ändern. Und jetzt?“ Das konnte ja heiter werden. Vielleicht brauchte ich auch einfach nur Schlaf.

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