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Auf Männerfang: Come to Mama!

Zurück bei Tinder: Von Männern und anderen Missverständnissen

Die beängstigend kluge Schwester meinte neulich am Telefon: „Ein paar meiner Arbeitskolleginnen verfolgen deinen Blog. Sie haben mich gefragt, ob du wieder tindern wirst.“
„Das ist alles, was sie interessiert?“, habe ich gelacht.
„Na ja, sonst wollten sie noch wissen, woher du die Kohle zum Reisen hast. Ich habe ihnen gesagt, dass du nach deiner Rückkehr in Wien wie eine Verrückte gearbeitet und jeden Cent gespart hast.“
„Stimmt ja auch.“
„Eh. Und was ist jetzt mit den Typen?“

Stimmt. Was ist mit den Typen? Bei meinen Lieben habe ich mich augenzwinkernd mit folgenden Worten verabschiedet: „Wir sehen uns spätestens bei meiner Hochzeit wieder – mit einem Milliardär auf Hawaii.“ – „Ist das nicht die Unterzeile in unser aller Leben?!“, haben meine Single-Freundinnen geraunt und mir viel Glück gewünscht. Meine männlichen Bekannten meldeten sich opportunistisch als Blumenkinder an und trichterten mir im Sinne der besseren Urlaubsplanung ein, doch bitte frühzeitig ein „mission accomplished“-Signal zu senden.

Da Nang romantisch

Sonnenuntergang in Da Nang, Vietnam. Da kann man schon mal drüber nachdenken, ob es nicht netter wäre, zu zweit.

Und bevor jetzt Missverständnisse aufkommen: Ich bin nicht krampfhaft auf der Suche nach einem Mann. Und schon gar nicht brauche ich seine Kohle oder Aufmerksamkeit, um mich glücklich oder komplett zu fühlen. Ich kann mich hervorragend selbst erhalten. Aber ich schätze, ich sehne mich nach Liebe. Einem Verbündeten für nicht alle, aber für viele Lebenslagen. Einem, der sich ähnlich blauäugig durch die Welt hangeln will wie ich.

Du willst doch keinen abgebrannten und ungewaschenen Hippie.

„Ich raffe einfach nicht, warum du in Österreich keinen brauchbaren Typen gefunden hast“, meinte meine Freundin Verena bei unserem Abschiedsessen. Wir kennen einander seit der Schulzeit, sie ist seit zehn Jahren verheiratet und happy. „Vielleicht bist du einfach zu wählerisch. Oder du probierst es gar nicht.“
„Stimmt, ich hab mich nicht wirklich umgeschaut“, gab ich zu.
„Aber warum?!“, wollte Verena entgeistert wissen. „Das ist doch irre. Wenn du es nicht einmal probierst, wie willst du dann jemanden kennenlernen?“
„Zum einen bin ich emotional lange Richard nachgehangen – dem Kanadier, den ich auf der ersten Weltreise kennengelernt habe“, gab ich zurück. „Und zum anderen: Der Typ Mann, den ich spannend finde, der hockt nicht in einer Stadt rum, der ist ebenfalls unterwegs.“
Verena war skeptisch. „Einen abgebrannten, ungewaschenen Hippie willst du doch auch nicht.“
„Es wird ja hoffentlich noch was zwischen abgebrannt und ungewaschen geben. Schau, eigentlich ist es einfach: Was ich NICHT will, ist einen Typen, der gerade voll in seiner Karriere aufgeht und damit beschäftigt ist, sich was Materielles aufzubauen. Ich habe selbst Karriere gemacht, ich werde wieder eine haben, mein Hirn kommt mir ja hoffentlich nicht abhanden. In dieser Phase des Lebens will ich jemanden, der die Eier hat, seinen Job auf Eis zu legen. Jemanden, der einen ähnlichen Drang verspürt, sich die Welt anzusehen wie ich. Der bereit ist, Dinge immer wieder umzuschmeißen. Und diese Männer trifft man nicht daheim, die sind in der Welt unterwegs.“

Auf Männerfang: Come to Mama!

Waltraud wieder auf Männerfang. Ich fand die Bank passend für meine Situation. 🙂

 

Mmmmh. Mal schauen. Wer ist der Nächste?

Meine Theorie hat sich bestätigt. Keine Ahnung, was in den drei Jahren, die seit meiner ersten Weltreise vergangen sind, passiert ist, aber: Ich schwöre, bei tinder wimmelt es derzeit nur so von Aussteigern und Abenteurern. Seit ich in Thailand und in Vietnam die App angeworfen habe, lese ich bei ungefähr jeder dritten Profilbeschreibung: „Bin auf Weltreise/mache eine Job-Auszeit/lebe als digitaler Nomade.“ Das mag an Südostasien liegen, das Leben hier ist billig, da kann man es sich schnell leisten, Möchtegern-Abenteurer oder digitaler Nomade zu spielen. Vielleicht liegt es aber auch am Zeitgeist. Ich habe das Gefühl, die ganze Welt ist gerade unterwegs und überdenkt, was sie im Leben will.

Abenteurer meines Alters wissen um die Anziehungskraft ihres Lebensstils.

Perfekte Voraussetzungen – so möchte man meinen – für mein kleines Projekt „Weltenbummler-mit-großem-Herz-und-Verstand-für-alsbaldige-Traumhochzeit-gesucht“. Die Praxis war bisher eher eine holprige Angelegenheit. Denn merke: Abenteurer meines Alters wissen um die Anziehungskraft ihres aktuellen Lebensstils und lassen sich bei tinder bevorzugt von 25-Jährigen für ihren Mut und für ihre Lebenserfahrung anhimmeln. Es sei ihnen von Herzen gegönnt. Mit 40 steht man als Frau eher ein wenig im Gouvernanten-Eck. Und die Typen, die was für Gouvernanten bzw. Gleichaltrige übrig bleiben, waren unterhaltsam. Mehr aber auch nicht.

G. taten nach vier Jahre Weltumrundung per Fahrrad der Hintern und das Herz weh.

G., ein 43-jähriger Brite, mit dem ich in Hanoi Kontakt hatte, klang vielversprechend. Er war vier Jahre durch die Welt geradelt und hatte seinen Trip vor einem halben Jahr beendet. Weil ihm der Hintern, aber auch das Herz weh tat. „Die Sache ist mir irgendwann zu einsam geworden“, schrieb er im Chat. Jetzt saß er im Norden Vietnams, genoss das bombastische Essen und das schwüle Wetter und wand sich darum, in seinen alten Job as IT-Berater zurückzukehren.

Wir vereinbarten eine Weinbar als Treffpunkt. Wo ich merkte: Vier Jahre im Radsattel hinterlassen Spuren. Zumindest taten sie es bei G. Nicht nur, dass ihm ein oder zwei Zähne fehlten (unten links prangte eine große, schwarze Lücke, die ihn irgendwie irritierend aussehen ließ. Auf den tinder-Fotos hatte er seinen Mund geschlossen gehalten.). Aber vor allem fehlte es ihm an Leichtigkeit. Wie das halt passiert, wenn man vier Jahre lang stur geradeaus fährt. Radfahren ist ein komischer Sport. Ich hatte mir einen Mann erwartet, der voller Euphorie und Tatendrang über die Länder sprechen würde, die er durchquert hatte. Südamerika! Afrika! Asien! Statt dessen schwang bei jeder Erzählung eine gewisse Resignation mit. Obendrein haderte G. mit meinem Englisch. Ich habe durch meine Au-Pair- und Arbeitsaufenthalte in den USA einen amerikanischen Akzent. Für einen Briten eine Katastrophe. Ich fragte, woher er genau käme. „Where at in England?“ – „Well, that’s very American. We say: Where about“, besserte er regelmäßig Worte und Phrasen aus. – „Ich bin keine Amerikanerin, G., ich bin aus Österreich.“ – „Oh, yes. Indeed. I forgot.“ Das Nervtötendste aber war: Er schien sich über nichts wirklich freuen zu können, nicht mal über den Umstand, keine Geldsorgen zu haben – die Mieteinnahmen von drei Eigentumswohnungen finanzierten sein aktuelles Leben.

Er ist ein Gewinner. Er hat die Sache zumindest überlebt, meinte die beängstigend kluge Schwester.

Nach dem zweiten Glas Wein trat ich den Rückzug an und schrieb der beängstigend klugen Schwester eine Zusammenfassung des Abends. Sie konterte optimistisch: „Aber er ist ein Gewinner, er hat die Sache zumindest überlebt.“ Dazu muss man sagen: Die beängstigend kluge Schwester hat prinzipiell ein Herz für reisende Radfahrer. Nicht nur, weil ihr Liebster in seiner Freizeit Rennrad fährt. Bei einem Elfenbeinküste-Trip hatten die beiden eine Begegnung mit einem älteren Herrn, der ganz Afrika durchradeln wollte. „Er sah völlig zerschunden aus, sonnenverbrannt und zerzaust. Links und rechts von ihm brausten Lastwägen und Autos.“ – Ihr Freund setzte nach: „Der lebt sicher nicht mehr. Den müssen sie mittlerweile überfahren haben, so irre ist der Verkehr“. Insofern war G. in den Augen meiner Schwester ein Held, der mehr Beachtung verdiente. Ich antwortete ihr nicht. Und löste statt dessen den Match mit G. bei tinder auf.

Ohne Worte.

Tage später chattete ich mit V., einem belgischen Industriedesigner, der frisch nach Saigon versetzt worden war, um sich vietnamesischen Produktionsstätten anzusehen. Er klang nett. So, als ob wir auf einer Wellenlänge liegen würde. Er klang aber auch sehr vergeben. Der Verdacht beschlich mich erstmals, als er mir zu Mittag eine Textnachricht schickte, nur um zu berichten, wie sein Frühstückskaffee und seine Fabriksbesichtigung bisher gelaufen war. Ich wunderte mich ein wenig über das plötzliche Vertrauensverhältnis, denn bisher hatten wir lediglich Kennenlern-Faken per Chat ausgetauscht, uns aber nicht persönlich getroffen. Abends: dasselbe Programm. V. wollte tratschen. Über alles und nichts. Und in meinem Kopf hämmerte es: Wenn Männer so mitteilungsbedürftig sind, sind sie gewohnt, sich jemandem mitzuteilen. Das mag paranoid klingen, aber ich sollte Recht behalten.

Als ich V.s Namen googelte, fand ich Bilder seiner Traumhochzeit.

Als ich V.s Namen googelte – ich hatte seine Telefonnummern und Facebook verriet den vollen Namen, weil er offenbar mit dieser Nummer dort registriert war – fand ich Fotos und Videos von V.s Traumhochzeit am Strand. Die Bilder waren keine zwei Jahre alt. Seine Frau trug laut Onlineschnüffelei noch immer denselben Namen. Ich ging auf Rückzug. V. verstand den Wink. Und ich hoffe inständig, seine Angetraute kommt ihn bald besuchen in Saigon, damit der Arme nicht mehr bei tinder die Ansprache suchen muss, die ihm durch die fünf Stunden Zeitverschiebung zwischen hier und Belgien fehlen.

V. habe ich zurück in den Wald geschickt. Hier sind’s halt eher Palmen.

Und dann … ja, dann war da D. in Saigon. Ein 40-jähriger Australier mit mazedonischen Wurzeln. Als ich das Light House, eine Rooftop-Bar im Herzen von Ho Chi Minh City betrat, wusste ich sofort: Wir sind hier beide falsch. D. begrüßte mich mit der Gestik einer Dragqueen. Alles an ihm war übertrieben. Theatralisch. Als ich erzählte, dass ich auf unbestimmte Zeit reisen würde, stemmte er beide Hände in die Hüften, klimperte mit den Wimpern und sagte: „Mädel, du bist mir eine!“ Ich orderte ein Glas Rosé, deutete dem Kellern an, großzügig einzuschenken, und beschloss, mir zumindest Ds. Lebensgeschichte anzuhören. Ich hatte ja sonst nichts vor.

Schwuler Schauspieler oder Traumtänzer mit Hang zur Übertreibung?

Ich habe viel an diesem Abend viel gehört, nur, wer D. wirklich war, blieb mir ein Rätsel. Ich schwankte zwischen schwulem Schauspieler, der für die Rolle eines Hetero probte und einem Traumtänzer mit drastischem Hang zur Übertreibung. D. gab an, ein künstlerischer Tausendsassa zu sein. Musiker. Galerist. Architekt. Berühmt-berüchtigter Party-Veranstalter in Australien und Ex-Jugoslawien. („Man kennt mich.“) Als ich ein wenig nachhakte, kam raus, dass er in Melbourne einen Putzdienst mit seinem Bruder betrieben hatte. Die beiden hatten sich verkracht. Jetzt versuchte er sich als Schuhdesigner. „Aha. Hast du dir schon Fabriken angeschaut?“ – „Nein, ich tendiere zu kleinen Herstellern.“ – „Wo findest du die?“ – „Auf der Straße.“ – „Du lässt deine Entwürfe von den kleinen Straßenhändlern umsetzen?“ – „Ja. Erstmal nur ein Paar Schuhe.“ – „Hast du vielleicht eine Skizze deines Entwurfs, die ich sehen kann?“ – „Die liegt im Hotel.“ Und an seinem Memoiren schrieb D. auch, fast hätte ich vergessen. Die Aufarbeitung einer komplizierten Familiengeschichte. „Wieviele Seiten hast du schon?,“ wollte ich wissen. – „Ich habe gerade damit begonnen.“ – „Gibt es einen Titel, der dir vorschwebt, eine Kurzzusammenfassung?“ – „Nein.“ Irgendwann wurde ich müde und rief mir ein Taxi. Wenig später löschte ich ihn – bei tinder und aus meinem Gedächtnis.

Da hab ich noch gelacht.

Doch das Schicksal ließ mich nicht so schnell vom Haken. Als ich ein paar Tage später durch den Flughafen in Saigon spazierte, auf der Suche nach meinem Abfluggate, hörte ich plötzlich: „Hello there.“ D.! FUCK. Schnell stellte sich heraus: Er war auf dem Weg in dieselbe Stadt wie ich, er hatte sogar die gleiche Reiseroute wie ich: Erst Da Nang, dann Hoi An. DOPPEL-FUCK. Dabei lagen die Chancen, einander zu treffen, eins zu einer Milliarde. Denn eigentlich sollte ich gar nicht am Flughafen sein, mein gebuchter Flug war drei Stunden nach hinten verschoben worden. Doch weil ich aus der Unterkunft auschecken musste, beschloss ich, dennoch zum Airport zu fahren, wo ein Airline-Mitarbeiter Erbarmen zeigte, und mich auf D.s Flug setze.

Du hast mich bei tinder gelöscht, sagte er.

„Nicht, dass ich es dir krumm nehme, aber du hast mich bei tinder gelöscht“, warf er mir vor. „Ich habe die App generell gelöscht“, log ich und setzte mir eine geistige Notiz, das bei nächster Gelegenheit nachzuholen. „Nachdem wir denselben Weg haben, wie wär’s mit einem Drink in der Flughafenbar?“ – „Wunderbar“, sagte ich und wollte meinen Kopf auf den Bartresen knallen. Ich ergab mich. D. war meiner Meinung noch immer nicht hundertprozentig heterosexuell, aber er war auch nicht unnett. Eigentlich, bei genauer Betrachtung, war er ganz lustig. Ich wunderte mich über sich selbst, als ich mich plötzlich sagen hörte: „Lass uns heute gemeinsam zu Abend essen, wenn wir schon in der selben Stadt sind.“

Es war ein herrlicher Abend. Wir fielen in ein vegetarisches Restaurant ein, in dem eine dicke Ratte – ohne Hast und Eile – die blank polierten Steinstufen hinunter hopste. Mir verging der Appetit, D. nahm die Sache lockerer. „Wo ist das Vieh jetzt?“, fragte ich, angespannt in die andere Richtung schauend. „Die Ratte ist in Richtung Toilette verschwunden. Wahrscheinlich duscht sie dort und zündet sich danach eine Zigarre an. Ah ich korrigiere, sie ist fertig. Sie geht gerade wieder die Stufen hinauf.“

Später wanderten wir – auf der Suche nach Wasser in Flaschen – durch ein Shoppingcenter, wo sich im Obergeschoss eine Eislaufhalle befand. Draußen 35 Grad, drinnen minus 2 Grad. Wir aßen ein Eis. Ich redete ohne Punkt und Komma. D. tat mir schon leid, so sehr laberte ich ihn zu. Ich hatte in den sechs Wochen des Alleinreisens offenbar ein akutes Mitteilungsbedürfnis entwickelt. Und D. – so begann mir zu dämmern – war einfach nur ein bisschen reisemüde, verloren und einsam. Alles völlig legitim. „Ich verabschiede mich nicht“, sagte D., als jeder wieder seiner Wege ging. „Die Chancen stehen gut, dass wir uns ohnehin in Hoi An wiedersehen.“ – „See you then!“, sagte ich. Und diesmal meinte ich es auch. Heute Abend gehen wir wieder essen.

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