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Indien. Oder: „Google das bitte mal …“

Neulich, als ich in Delhi im „Indira Gandhi Museum“ herumspazierte, jenem Haus, in der die ehemalige indische Premierministerin bis zu ihrem letzten Tag residierte, dachte ich: „Himmel, ich möchte dieses Land nicht regieren, auch nicht für viel Geld.“ Zum einen, weil so ein Tod durch Attentat nichts Schönes ist. Madame Gandhi wurde am 31. Oktober 1984 auf dem Weg in ihr Büro von 30 Kugeln durchsiebt. Ihr blutgetränkter Sari und die Tasche, die sie an jenem Tag trug, sind im Museum ausgestellt. Die Tasche ist übrigens kein Designerteil, sie trug einen Hippie-artigen, folkloristischen Stoffbeutel, als Indiens Premierministerin wird man offenbar miserabel bezahlt. Zum anderen … nun ja, wie soll man ein Land regieren, das eigentlich unregierbar ist? Es fängt schon damit an, dass die Inder sich untereinander kaum verstehen: Rund 100 verschiedene Sprachen werden unter den 1,3 Milliarden Einwohnern gesprochen, lediglich 23 davon sind offiziell anerkannt, Hindi und English gelten als Amtssprachen und das haut auch nur in der Theorie hin. Kaum ist man aus Delhi oder Mumbai raus, verliert sich die Nation im unverständlichen Kauderwelsch.

„Da kannst als Politiker ja gar keinen Konsens finden,“ hab ich zu Christiane gemeint. „Jeder der 29 Bundesstaaten ist wirres Universum für sich, mit eigenen Regeln und Gepflogenheiten.“

Nur eine Sache scheint die Mega-Nation zu vereinen. Ihre Liebe für geschönte Porträtfotos. Andächtig standen Inder jeder Herkunft vor den vielen Indira Gandhi Bildern im Haus. Manche erwischte ich sogar dabei, wie sie sehnsüchtig beim Studieren der Bilder seufzten.

 

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Indira Gandhi, in jungen Jahren. Die Pose wirkt noch etwas hölzern.

 

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Schon besser. Sehr staatstragend. Die graue Cruella-de-Vil-Gedächtnissträhne ist mein Favorit.

 

Indira, in jungen Jahren, mit Masche im Haar, weißen Stutzen und fernschweifendem Blick.

Indira, matronenhaft mit adrett frisierter grauer Cruella-de-Vil-Strähne.

Indira in verspielter Denkerpose.

„Wenn ich mal hops gehe, gibt’s für die Nachwelt keinen gescheiten Fotos von mir“, machte ich mir plötzlich Sorgen. „Nur blöd grinsende Selfies mit Sonnenbrille und schlechtem Licht. Ein paar Schnappschüsse mit Freunden hätte ich zur Not auch.“
„Für deinen Nachruf schneiden wir halt die Gesichter von den Freunden raus“, lachte Christiane. „Außerdem hab ich ein paar gute Filter auf Hipstamatic.“
„Du verstehst mich nicht,“ entgegnete ich dramatisch. „Ich will auch solche Indira-Gandhi-Poser-Fotos. Meine Enkel sollen später mal am Kaminsims stehen und beim Blick auf meine gerahmten Bilder feststellen: Schau, wie toll die Oma damals war. Keiner macht mehr ordentliche Fotos heute!“
„JETZT klingst du wirklich alt“, mokierte sich Christiane und verkniff sich den Kommentar, dass man für eigene Enkel erstmal eigene Kinder braucht. „Aber gut, wenn du willst, dann schießen wir in Indien ein paar staatstragende Bilder.“

Beim Taj Mahal, dem gefeiertsten Bauwerk Indiens, fingen wir damit an. Dass es regnete und der Himmel wolkenverhangen war, schmälerte den Wow-Effekt des Marmor-Mausoleums und Christianes Laune zwar ein wenig, aber was soll’s. „Ein blitzblauer Himmel wäre als Kontrast zum Weiß viel besser“, murrte die Profi-Fotografin. Mich störte etwas anderes. „Findest du es nicht auch ein bisschen klein geraten?“, fragte ich Christiane. „Ich hab es mir viel größer vorgestellt.“ Wobei, das darf man den Indern nicht sagen. Als ich später gegenüber einer Einheimischen anmerkte, dass mich das Taj mit seinen 58 Metern Höhe und 56 Metern Breite größentechnisch nicht wirklich vom Hocker haute, hätte diese fast einen Herzinfarkt gekriegt. „Ich bin wahrscheinlich verwöhnt“, brachte ich zu meiner Verteidigung vor. „In Europa stehen an vielen Ecken weitaus größere Prunkpaläste.“

 

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Das Taj Mahal. Ich hab’s mir größer vorgestellt.

 

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Selbes Bauwerk, andere Ansicht, mit Frangipani Baum.

 

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Taj Mahal in Schwarz-Weiß. Wär der Himmel blau gewesen, wär ich gar nicht erst auf die Idee gekommen, mich künstlerisch zu verwirklichen. Ich höre eh schon auf.

 

Obwohl ich zugeben muss: Keinen der Prachtbauten putzt man mit der Zahnbürste. Das ist das Bild, das mir wahrscheinlich auf ewig vom Taj Mahal in Erinnerung bleiben wird: Dort wo die beiden Steinsärge des ehemaligen Liebespaars stehen – das Taj wurde von Großmogul Shah Jahan für seine verstorbene Lieblingsfrau Mumtaz Mahal errichet, nachdem diese bei der Geburt ihres 14. Kindes verstorben war – schrubbte ein Arbeits-Inder im Turban die Auskerbungen des Marmor-Geländers per Hand und mit einer ausrangierten Zahnbürste. „Das nennt man Liebe zum Detail“, dachte ich, als ich durch die dunkle Halle lief.

 

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Die Blumenornamente sind aus Edel- und Halbedelsteinen.

 

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So was wird in Indien mit der Zahnbürste geputzt. Und mit viel Liebe.

 

Wir bewunderten die floralen Edelsteinornamente, die Kaligraphien am Eingangstor mit den Koran-Versen und dann dirigierte Christiane mich in eine ruhigen Ecke nach draußen. „Los, Indira! Fang an zu posen“, instruierte sie mich grinsend. „Du willst doch gescheite Fotos von dir haben.“ Und was soll ich sagen? Das mit dem würdevoll-staatstragenden Abbild für die fiktive Enkel-Nachwelt ist gar nicht so einfach. „Indira hat sich vorher sicher geschminkt und fönfrisiert“, protestierte ich. „Und die musste auch nicht blöd gegen das Sonnenlicht schauen“. – „Jetzt stell dich nicht so an“, blieb Christiane hart. „Hör auf einen Buckel zu machen, gerader Rücken bitte und los geht’s.“

 

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„Rücken gerade hab ich gesagt!“ -„Ja, eh.“ Ich trage eher Sorge um mein Outfit. Bei Indira hätte der BH nicht aus dem Kleid geschaut. Und föhnfrisiert wäre die Gute sicher auch gewesen.

 

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Mein Vorschlag für „Der Exorzist, Indian Edition.“

 

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Okay, nochmal.

 

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Girl at work.

 

Am Ende war Christiane nur semi-zufrieden. „Wir haben zu viele Fotos auf denen du das Handy in der Hand hältst“, meinte sie.
„Was soll ich machen?“, schnappte ich zurück. „Wir wissen doch beide nix über Indien, wir sind hier ständig nur am Googeln. Heute haben wir dank des iPhones zumindest erfahren, dass der Großmogul vor lauter Trauer über den Tod seiner Liebsten binnen eines Jahres komplett ergraut ist. Und dass es 1.000 Elefanten für den Transport der Baumaterialien brauchte, um das Taj zu errichten.“ Kurze Pause. Nachsatz. „Und weißt du was ich noch im Internet herausgefunden habe? Dass Kate und Prinz William bei ihrem Besuch im April im The Oberoi Hotel abgestiegen sind. Das ist gleich hier ums Eck, drei Minuten zu Fuß. Da gehen wir jetzt auf ein Getränk hin, ich brauch ein bisschen royales Flair und vor allem brauche ich eine saubere Toilette.“

 

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Das Oberoi Hotel. Hier standen auch Kate und ihr Prinz William auf der Terrasse. Die kleine Kuppel im Hintergrund ist übrigens das Taj Mahal.

 

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Auch so kann man leben: Im Oberoi gibt es Butler für alles. Sogar welche, die für den fadisierten Kinder-Gast Drachen steigen lassen. George und Charlotte hätte es gefallen, die durften aber nicht nach Indien mit.

 

Auf der Terrasse des Oberoi, bei einem 10-Euro-Eistee und mit Blick auf einen Butler (!), der für ein Gäste-Kind geduldig Drachen steigen ließ, fragte ich Christiane: „Sag mal, was genau wollten wir heute noch alles im Internet nachlesen?“
Es war unser tägliches Ritual. „Google mal bitte…“ war mit ziemlicher Sicherheit der meist verwendete Satz zwischen uns auf dieser Reise. Mindestens dreimal täglich steht man wie ein kleines Kind da und versteht nichts. Indien ist einfach zu schwer zu greifen.

„Google mal … warum sich manche indische Männer den kleinen Fingernagel so ekelhaft lang wachsen lassen?“, stand heute am Themenplan.
Und ich klemmte mich vor den Bildschirm, um schließlich vorzutragen: „Ein langer Fingernagel soll ausdrücken: Ich bin kein Arbeiter oder Bauer, ich gehöre dem gehobenen Stand an, ich werke nicht mit den Händen. Ah ja, und fürs Drogenschnupfen ist das Ganze auch ganz praktisch, der lange Fingernagel ist mitunter auch ein Strizzi-Symbol.“

So ging es die ganzen zwei Wochen, die wir durch Indien tourten, von Rajasthan bis nach Kerala, den südindischen Bundesstaat.

„Google mal … ob Indira Gandhi mit Mahatma Gandhi verwandt war?“ (Nein, war sie nicht. Indira wurde mit dem Nachnamen Nehru geboren und hat später nur einen Gandhi geheiratet, ein Name der in Indien durchaus weit verbreitet ist).

Google mal … wofür der rote Punkt auf der Stirn der Frauen steht? (Er zeigt an, dass die Dame bereits unter der Haube ist).

Google mal … warum es vom toten Gandhi so gute Bilder gibt? (Weil Henri Cartier Bresson, der legendäre Life-Reportage-Fotograf, zufällig drei Stunden vor dem tödlichen Attentat bei Mahatma Gandhi Audienz hatte und sich noch in der Gegend herumtrieb).

Google mal … wieviel ein echter Pashmina kosten darf? (Die billigste Qualität gibt es ab 15 Euro, dabei handelt es sich dann aber definitiv nicht um die streichelweiche Nackenwolle).

Google mal … warum man überall pflanzliches Insulin verkauft? (Weil Indien das Land mit der weltweit höchsten Diabetes Rate ist, ein Riesenproblem, das hauptsächlich durch falsche Ernährung – viele Kohlehydrate und Fett, wenig frisches Gemüse und Ballaststoffe– aufgekommen ist.)

Google mal … was „Dosa“ hier auf der Speisekarte sein soll? (Eine Art Palatschinke aus fermentiertem Reis- und Linsenmehl. Muss man mögen, ich mochte es nicht)

Google mal … ob im Nachtzug Männer und Frauen getrennte Abteile haben? (Nein, haben sie nicht. Aus Erfahrung kann ich mittlerweile sagen: Alleinreisende Frauen meiden die Züge besser, zumal die Schaffner die 4-er-Schlafkojen auf unerträglich kalte 15 Grad runter kühlen und jeder Nachtzug stundenweise Verspätung hat, in unserem Fall waren es vier).

Das Internet war in Indien unser bester Freund, eine geduldige und weise Auskunftsquelle, wenn wir – trotz ständigen Nachfragens – mal wieder null verstanden. Wobei: Das ist wahrscheinlich das größte Geheimnis Indiens. Es gibt nie nur eine Wahrheit oder eine Antwortmöglichkeit. Das Land ist zu groß und zu vielfältig dafür. Nur weil die Hindus im Norden kein Fleisch essen, heißt das noch lange nicht, dass das auch für die Hindus im Süden gilt. Eine Sache aber scheint für das ganze Land gültig zu sein. Es gibt zu wenig öffentliche Toiletten. Egal ob im Norden oder Süden – überall packen die Männer gemächlich ihr Gemächt aus und pieseln stolz die Hausmauern voll. Der Gestank von Urin ist in manchen Teilen unerträglich. Für Frauen gibt es so gut wie keine stillen Örtchen.

 

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Notdürftige Männer in Indien. Auch wenn die Toilettentüren fehlen, für sie gibt es zumindest ein paar öffentliche Plätze der Erleichterung. Für Frauen sucht man vergeblich danach.

 

„Wie macht ihr das?“, habe ich Shruti, unseren weiblichen Tourguide in Delhi gefragt, während ich mit verknoteten Beinen vor ihr stand und den frischen Wassermelonensaft zum Frühstück innerlich verfluchte. „Wir planen die Toilettengänge gut,“ gab sie lapidar zur Protokoll. Sie hätte auch sagen können: „Du wirst auf dieser Reise verdursten oder Windeln tragen müssen“. Es wäre aufs Gleiche rausgekommen.

„Sollte ich jemals hier an die Macht kommen, dann führe ich als erstes Klos für Frauen ein. Überall! Im ganzen Land!“, meinte ich zu Christiane, die für mich ein Phänomen ist, weil sie nicht mehr als 0,5 Liter am Tag trinkt, trotzdem eine Haut wie ein Babypopsch hat und selten in die Verlegenheit eines Toilettenstopps kommt.
„Viel Glück“, lachte sie. „Schau halt nur, dass du am Ende nicht auch erschossen wirst, als Politikerin lebt man in diesem Land gefährlich“.
Hmm. Dann lieber weiter Wassermelonensaft. Und ein mobiles Taschen-WC. Oder so.

 

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„Von Frau zu Frau: Wo geht es hier zur nächsten Toilette?“

 

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Ich glaube, sie weiß es auch nicht. Aber ein nettes Erinnerungsbild gibt die Sache zumindest her.

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