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Im Elefantencamp: „Alles Psychopathen“

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Diese beiden Elefantendamen sind in meinem Alter – eine ist 35, eine ist 40. Da endet aber (hoffentlich) die Gemeinsamkeit schon. Denn Dickhäuter in diesem Alter gelten als betagte Ladies, durchschnittlich zehn Jahre beträgt ihre Lebenserwartung noch. Ihre Augen wirken jetzt schon, als hätten sie alles gesehen. Darunter einiges, dass sie wahrscheinlich lieber vergessen würden.

 

In einer Woche geht es nach Indien. Ein bisschen Delhi, Rajasthan, das Taj Mahal, Varanasi und dann runter in den Süden, nach Kerala. Einen Teil der Strecke wird mich eine Freundin besuchen. Auch wenn ich immer schreibe, dass ich gerne Einsiedlerkrebs bin: Für Indien gilt das nicht, da will ich nicht alleine hin. Zum einen wegen der Vergewaltigungen, von denen man hört. Zum anderen weiß ich jetzt schon, dass die bettelnden Kinder und Aussätzigen am Straßenrand mich verzweifeln lassen werden. Da kommt es ganz gut, jemanden zum Herz-Ausschütten an seiner Seite zu haben. Und dann ist da noch Varanasi, die heilige Todesstadt: Sie ist der eigentliche Grund für den Indien-Trip. Ich will mit eigenen Augen sehen, wie die Leute zum Sterben an den Ganges pilgern. Und ich will wissen wie schlimm die Luft in jenen Vierteln riecht, in denen quasi nonstop Leichen verbrannt werden. Ich weiß, das klingt für viele krank und morbide. Aber sich mit dem Tod auseinander zu setzen hat für mich schon immer bedeutet, das Leben zu bejahen.

So, und weil ich ja nicht die größte Planerin vor dem Herrn bin, hat meine Freundin Christiane die Sache in die Hand genommen und die Route recherchiert (einige Leser kennen die Dame bereits von ihrer Stippvisite auf Hawaii).

„Willst du auf einem Elefanten zur Amber-Festung in Jaipur reiten?“, hat sie mich per E-Mail gefragt. „Die bieten das überall an, das macht man dort anscheinend so.“

„Sicher nicht,“, habe ich entschlossen zurückgetippt. „Ich steig garantiert auf keinen Elefanten. Wir sind ja nicht Russell Brand und Katy Perry.“

Dazu muss man wissen: Eigentlich liebe ich Russell Brand, den sexbesessenen, englischen Comedian mit der Klobesen-Frisur. Neben Harper Beckham, der kleinen Tochter von David Beckham und seiner dauerhungrigen Victoria, ist er mein heimlicher Promi-Crush. Seit Jahren obsessiere ich über ihn. Auch wenn er sich im Drogenrausch so einige Hirnzellen weggeschossen hat, ich finde ALLES an ihm scharf: Dass er aussieht wie die volltätowierte Wiedergeburt des Messias. Dass er auch im tiefsten Winter Ruderleiberl mit extraweitem Armausschitt trägt. Dass seine Augen ausschauen wie die eines Eichhörnchens auf Speed. Und die knallengen Lederhosen, in denen er sich nicht bücken kann – ich finde, man muss ihn lieben. Einzig als er im Okober 2010 Sängerin Katy Perry, die schwarzgefärbte Plastikbarbie, für die Dauer von zehn geistig umnachteten Monaten ehelichte, geriet meine Liebe kurz ins Wanken. „DIESE Dumpfbacke? Geh bitte!“, wetterte ich, als die Paparazzi-Hochzeitsbilder von der Zeremonie in Indien auftauchten. Die beiden Turteltauben ritten wie zwei Maharadschas auf üppig geschmückten Elefanten ein. Lächerlich sah das auch, nicht nur wegen Katy Perry.

 

Obsession

Russell Brand, meine heimliche Promi-Obsession. Auch wenn er dreinschaut wie ein Eichhörnchen auf Speed und knallenge Lederhosen trägt, die seiner Potenz nicht förderlich sind – ich mag ihn. Außerdem hat er mit dieser Elefantengeschichte zu tun, also genießt den Anblick (bevor wieder lauter Viecher kommen). 🙂

 

„Wir reiten NICHT auf einem Elefanten durch Jaipur, das ist unter meiner Würde“, instruierte ich Christiane also. „Lass uns den Jeep nehmen, ja?“ 

Als ich die Geschichte von den Indien-Reiseplanung neulich A. erzählte, klopfte er mir auf die Schulter und meinte: „Gut gemacht.“ A. heißt nicht wirklich A. Er hat seinen unaussprechlich thailändischen Namen lediglich auf den Anfangsbuchstaben reduziert. Jedenfalls: A. arbeitet für Elephant Nature Park in Chiang Mai. Das ist eine lokale Organisation, die geschundene Dickhäuter aus Zirkussen, Themenparks und von Baustellen, in denen die Tiere zum Transport von abgeholzten Baustämmen eingesetzt werden, rettet, um sie wieder im Dschungel auszuwildern. In Chiang Mai gibt es durch die Nähe zu den Bergen und Wäldern dutzende Elefantencamps, in denen man mit den Tieren auf Nahkontakt gehen kann. Aber nicht alle sind unbedingt empfehlenswert. Es war gar nicht so einfach rauszufiltern, wo man sich Elefanten am besten live gibt, ohne dass man sich – bewusst oder unbewusst – der Tierquälerei schuldig macht.

Mittlerweile weiß ich: 1. Auf Elefanten reiten ist böse (auch ohne Katy Perry).

„Die Tiere sind nicht dafür gebaut“, erklärte mir A. „Auch wenn sie groß und stämmig sind, ihre Haut ist zu sensibel, die schweren Reitvorrichtungen verletzen ihre Rücken. Sogar der Ritt ohne Sattel verursacht Schmerzen und kann nur auf einem Elefanten vollzogen werden, dessen Willen man vorher gebrochen hat.“

2. Ein „gutes“ Elefantencamp erkennt man am Taschen-Inhalt der Mahouts.

Die Elefantenpfleger sollten lediglich Bestechungs-Snacks in Form von Bananen, Gurken und Zuckerrohr bei sich tragen – und KEINEN Ankush, einen Stock mit einem spitzen Metallhaken am Ende. Letzterer dient dazu, die Elefanten gefügig zu machen und sie an sensiblen Stellen an ihrem Schädel zu malträtieren, falls sie nicht parieren.

Bevor mir jetzt zum Himmel schreiende Naivität attestiert wird: Ich weiß schon, dass jeder Elefant, der jemals in Gefangenschaft gelebt hat, so einen Ankush kennt. Ohne die Haken der Mahouts gäbe es keine „zahmen“ Dickhäuter. Nur weil man freundlich lächelt und mit einem Kilo Bananen winkt, geht das Viech nicht automatisch mit einem mit. Aber wir reden ja hier von geretteten Elefanten, also Exemplaren, denen ihre Freiheit und ihr freier Wille zurückgegeben werden soll. Insofern: Reiten ist böse. Bananen im Sack sind gut.

400 Kilo Futter – Bambus, Blätter, Gras, Rinde und Bananen – nimmt ein ausgewachsenes Tier im Schnitt täglich zu sich. Gut 20 Kilo davon schleppt jeder Mahout im Elephant Nature Camp für „seinen“ Elefanten mit, wenn er auf Spaziergang durch den Dschungel geht. Stockt der Tross, weil ein Elefant beschließt ein bisschen ins Narrenkastl schauen zu wollen, wird er mit Bananen und Zuckerrohr gelockt. Und die Dickhäuter sind gewieft. Nicht selten bleiben sie bewusst stehen und reißen gleichzeitig das Maul fordernd auf. Manch einer stiehlt mit seinem Rüssel das Futter direkt aus den Taschen. „Es dauert, bis die Elefanten begreifen: Ich werde nicht mehr geschlagen, wenn der Mensch was von mir will, belohnt er mich“, erklärte A. mir die Arbeit der Mahouts. „Aber ist der Groschen dann endlich gefallen, nutzen die Tiere die Sache knallhart aus.“

 

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„Bitte füttern, sonst gehe ich keinen Schritt weiter!“ Die renitente Elefantendame reißt freundlicherweise gleich das Maul auf, damit man weiß, wo man die Bananen reinzuschießen hat (im Video unten gibt’s das Ganze quasi live).

 

 

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Langsam herantasten. Dieser junge Bulle präferiert Bananen über Gurken. Mein Zuckerrohr kann ich mir sonstwo hinstecken. Die Kleidung ist übrigens geborgt, ich lauf nicht immer so rum. Aber Elefantenrüssel sind eine feucht-schlatzige Angelegenheit.

 

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Der Betreiber des Camps gehört den Karen, einem thailändischen Bergvolk, an. Zu erkennen an den typischen grobgewebten Shirts der Karen.

 

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Gastfreundlich war der Herr auch. Ich liebe die Bananenblatt-Hüte, die den Reis nicht austrocknen lassen und vor Fliegen schützen. Wird zu Hause fix nachgemacht. Aber ups, ich schweife ab. Zurück den Elefanten.

 

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Na bitte, da kommt schon einer. 4 Tonnen Kampfgericht hat so ein Tier, wenn es ausgewachsen ist.

 

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Und eine kleinen Exkurs in Sexualkunde schiebe ich auch ein, zumindest bildlich. Dieses Teil gehört einem Neunjährigen. Just saying …

 

„Ich schätze, das nennt man dann wohl ausgleichende Gerechtigkeit“, lachte ich über die diebische Ader der Tiere.

„Ja. Aber trotzdem muss man auf der Hut aus: Die Elefanten hier können auch echte Psychopathen sein. “

„Was meinst du mit Psychopathen, A?“, habe ich gefragt und das Dickhäuter-Quartett vor uns – zwei betagte Elefantendamen um die 40, einen Bullen im Alter von 9 Jahren und ein vierjähriges Mädchen – studiert.

„Jedes Tier hat einen Schaden, die Gefangenschaft kannst du gar nicht überleben, ohne dass ein Knacks zurückbleibt“, gab er pragmatisch zurück. „Von einer Sekunde auf die andere kann ein Elefant auszucken, oft weiß man gar nicht warum.“ 

Und wie auf Kommando drehte das jüngste Mitglied der Herde – Lindsey, das vierjährige Elefantenmädchen – sich plötzlich um, fixierte A. und mich, stieß einen röhrenden Laut aus und stürmte blind vor Wut auf uns zu. A. sprang zur Seite und riss mich mit sich, Lindseys Mahout brüllte Anweisungen in Richtung seines Schützling und schaffte es schließlich, das Tier zum Stehen zu bringen.

 

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Lindsey ist gerade ein bisschen durchgedreht. Der Mahout versucht sie zu beruhigen.

 

„Was war das?“, fragte ich atemlos, mein Herz schlug bis zum Hals.

„Sie hasst es, wenn man hinter ihr geht“, erklärte A., mittlerweile wieder gefasst. „Es war mein Fehler. Aber ich hab dir ja gesagt: Es sind Psychopathen. Die Methoden, wie die Tiere gezähmt wurden, sind einfach zu brutal, da bleibt immer ein Schaden zurück.“

Zurück im Camp zeigte A. mir Videos, um zu erläutern, was er meinte. Als Tochter eines Metzgers bin ich prinzipiell nicht leicht zu erschüttern, aber mir ist jetzt noch schlecht von den Aufnahmen. Jeden Tag, auch in dieser Sekunde, müssen hunderte Elefantenjunge bewegungsunfähig, weil von jeder Körperseite mit Seilen fixiert, im Dschungeldickicht von Thailand, Indien, Burma, Vietnam, Laos und Kambodscha ausharren. Die Haut an den Fußgelenken ist durch die Eisenketten teilweise bis auf die Knochen durchgescheuert, Moskitos und Fliegen laben sich an den Wunden. Um überhaupt an ein Elefantenbaby zu kommen wird die Mutter erschossen. Das Junge wird über Wochen hin angekettet. Es kann sich nicht umdrehen, nicht hinlegen, es kann sich nicht einmal selbst umbringen, indem es auf seinen Rüssel steigt und sich die Luft zum Atmen abschneidet (wenn Elefanten keinen Ausweg sehen, begehen sie schon mal instinktiv Suizid). Zusätzlich wird das Tier mit brennenden Fackeln verängstigt. Es wird mit Haken so lange gequält, bis der Wille des Elefanten gebrochen ist und das  Tier macht, was der Mahout will.

Folgt der Elefant schließlich den menschlichen Anweisungen, wird er weiter verkauft. An Unterhaltungsbetriebe. An Arbeitsfarmen. An Zoos, in denen die Dickhäuter mit wendigem Rüssel zu Pinsel und Ölfarbe greifen, um Kunstwerke für die Besucher zu malen.

„Die Bilder sehen alle gleich aus, schon bemerkt?“, sagte A. „Es sind immer Blumen oder Bäume. Die Wahrheit ist: Es gibt keine Elefanten mit vanGogh-Ambitionen. Der Mahout gibt jeden Pinselstrich vor. Spurt der Elefant nicht, wird mit dem Haken gedroht, oft reicht schon der Anblick des Folterwerkzeugs, damit der Elefant spurt.“ 

„Kann man gerettete Elefanten überhaupt auswildern?“, fragte ich. „Viele sind in Gefangenschaft geboren, die wissen doch gar nicht, wie sie leben müssen, wenn keiner sie füttert.“

A lachte. „Glaub mir, Elefanten lernen schnell. Unsere Tiere haben hier schon den halben Bambusbestand weggefressen und rubbeln sich mit Wonne die juckende Haut an dicker Baumrinde. Die wissen schon, was sie tun müssen, um zu überleben. Das Problem ist eher, dass die natürliche Herdenstruktur fehlt.“

 

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Ein guter Baum, um sich ein bisschen dran zu reiben. Das bringt Erleichterung gegen die juckenden Moskitostiche. Die Mahouts nennen die Aktion grinsend „Elephant Pole-Dancing.“

 

Kann ein Camp zum Beispiel nur vier Elefanten aufnehmen, wird die „Herde“ aus diesen vier Tieren zusammengewürfelt. Aber wer zum Teufel sagt, dass sich die Viecher auch verstehen? Auch unter Elefanten gibt es Sympathien und Antipathien. Und wer soll Anführerbulle sein, wenn es keinen Bullen gibt? „Letztlich werden die Mahouts immer eine wichtige Bezugsperson bleiben, sie bringen Ordnung in die Truppe“, gab A. zu, während wir die Elefanten zu ihrem Schlammbad begleiteten.

 

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Ein Schlammbad für die Schönheit.

 

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Oder einfach nur ein bisschen zum Herumliegen und Dösen.

 

 

Ich saß  etwas abseits im Dschungelgras, in respektvollen Abstand zu den Tieren. Nach Lindseys Ausbruch war mir die Truppe nicht mehr ganz geheuer. Aber auch aus der Entfernung konnte ich genug Eindrücke aufsaugen. Ich beobachtete etwa, dass Elefanten ständig juckende Beine haben. „Die Moskitos,“ seufzte A. „Die sind eine echte Plage. Hier können sich  die Elefanten wenigstens selbst kratzen, wann sie wollen und so oft sie wollen. In Gefangenschaft geht das nicht.“ Ich studierte, wie wendig und stark so ein Rüssel ist, fast wie eine Boa Constrictor. Nicht, dass ich Expertin in Sachen Würgeschlagen wäre, aber als ich acht Jahre alt war schaute eine Zirkustruppe in unserer Provinz-Volksschule vorbei. Ich wurde  – nebst anderen Freiwilligen – auserkoren, eine Boa um den Hals zu tragen. So ein Elefantenrüssel fühlt sich ähnlich an, nur nasser, die Tiere sabbern alles ein. Und wo ich mich schon als Zoologin versuchte, riskierte ich auch gleich einen Blick auf das Mahlwerk der Tiere – um staunend festzustellen, dass Elefanten vier ziemlich breite Backenzähne in ihrem Maul haben. A. erklärte mir, dass Lindsey & Konsorten im Laufe ihres Lebens genau 24 solcher Zähne zur Verfügung stehen. Sind die ersten vier Beißer verschlissen, wachsen neue nach, insgesamt 6 Mal geht das so. Das sechste Set markiert den letzten Lebensabschnitt des Elefanten. Hat das Tier auch diese verloren, stirbt es. Genauer: Es verhungert. Die Natur kennt da kein Pardon. „Betagte Elefanten erkennt man aber nicht nur an ihren Zähnen“, ergänzte A. „Alte Tiere haben eingefallene Schläfen, die Jungen erkennt man am prallen Schädel und der noch vollen Haarpracht, wie beim Menschen auch.“

 

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Bitte ganz weit aufmachen! Was bei uns die dritten Zähne sind, sind bei dieser betagten Elefantendame die Sechsten. Wenn auch dieses Zahn-Set futsch ist, muss das Tier sterben. Die Natur sieht das so vor.

 

„Ich habe gesehen, dass Lindsey, das kleine Psychopathin, seitlich an den Schläfen jeweils ein kleines Loch in der Haut hat. Sind das alte Verletzungen von den Haken?“, fragte ich A.

Nein“, lachte er. „Diese kleinen Löcher haben alle Elefanten, eines links, eines rechts. Du musst nur genau schauen. Wobei, wo du das Thema schon ansprichst: Diese Löcher solltest du eigentlich immer im Blick haben.“

„Warum, A.?“.

„Weil aus diesen Öffnungen Pheromone kommen. Wenn gar eine ölige Flüssigkeit austritt, bedeutet das nichts Gutes.“

„Wofür steht das Öl?“

„Das Öl zeigt an: Der Elefant ist fuchsteufelswild. Und du solltest in diesem Fall besser rennen.“

Wieder was gelernt. Da soll noch einmal einer sagen, ich hätte auf dieser Weltreise mein Hirn nur in der Sonne brutzeln lassen. Insofern: Steigt auf keinen Elefanten. Schaut euch an, was die Mahouts in ihren Taschen haben. Und behaltet die Schläfen im Augen. Das nächste Mal hören wir uns aus Indien. Angst!

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