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Great Barrier Reef: „Is it really great?“

 

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Auf dem Weg zum Reef. Fische und Korallen schauen.

 

Irgendwie scheint Australien der Nabel der Welt zu sein. Nicht nur dass ich in Sydney so viele Freunde von Freunden getroffen habe, dass es schon fast in Sozialstress ausgeartet ist. Dieser Tage, wenn ich bereits in Tokio bin, wird eine liebe Freundin aus Wien am fünften Kontinent aufschlagen. Wir verpassen uns nur knapp.

„Was muss ich sehen?“, hat sie mich am Telefon gefragt.

„Sydney. Schon allein wegen der Kunst-Biennale und der guten Laune hier,“ hab ich gemeint.

„Und sonst?“

„Keine Ahnung. Lass mich mal zum Great Barrier Reef und ins Outback fahren, dann kann ich mehr sagen.“

Mittlerweile bin ich von beidem zurück. Und auch wenn Australien-Fans gleich empört aufschreien werden: All jene, die wochenlang durch Down Under touren und schwärmen: „Hach, soviel zu sehen! Unter zwei Monaten geht’s gar nicht“, die verstehe ich nicht. Drei Wochen reichen völlig. Wenn nicht sogar weniger. Denn ja, das Land ist schön, die Natur vielfältig und überhaupt. Aber oft fährt man einfach nur stundenlang eine gerade Straße entlang, um die nächste Stadt zu erreichen. Keine Dörfer dazwischen, nur Tankstellen. Irgendwann nervt’s. Warum soll man 1.100 Kilometer von Sydney nach Melbourne dahingaukeln, wenn man die Strecke auch in zwei Stunden mit dem Flieger zurücklegen kann? Eben. Außerdem wird’s städtetechnisch nach Sydney und Melbourne eher mau. Das sagen die Einheimischen selbst. Nach Canberra, die Hauptstadt, zieht nur, wer jobmäßig muss. Perth? Adelaide? Brisbane? Alles ruhige Wohngegenden, man spielt Tennis, führt den Hund Gassi, veranstaltet am Wochenende Barbecues. Mehr aber auch schon nicht. „Australien musst du dir so vorstellen“, hat Grant, ein waschechter Sydney-Sider, mir erklärt: „Alle Städte sind in Küstennähe. Der Rest ist Outback und bis auf ein paar große Farmen quasi unbewohnt.“

„Wohin muss ich wirklich, Grant?“, habe ich nachgebohrt.

Sydney, das Great Barrier Reef und Ayers Rock im Outback“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Auf diese Dreifaltigkeit scheinen alle zu schwören. Egal, wenn ich frage, vom Taxifahrer bis zum Pub-Besitzer, es kommt immer dieselbe Antwort.

Okay, einige haben auch noch die Gold Coast und Whitsunday Islands, die Pfingstsonntagsinseln, erwähnt. Aber die habe ich von vornherein ausgeschlossen. Denn wieviele Tage seines Lebens kann man untätig im Sand rumliegen? Außerdem: Nach Hawaii, Kapstadt und Rio hängen mir Strände irgendwie zum Hals raus. Das mag präpotent klingen, ist aber so. Ich habe olivfarbenen Sand gesehen, schwarzen Sand mit Glitzerpartikeln, in Rio war ich jeden Tag am Ipanema Beach  … Irgendwann wirkt alles wie eins, man kann die Orte nicht mehr auseinander halten. Darum hab ich die australische Gold Coast guten Gewissens von der Liste gestrichen.

Was ich aber nicht auslassen wollte, war das Great Barrier Reef. Dieses 2.300 Kilometer lange Korallen-Wunder, das vom Nordosten Australiens bis nach Papua-Neuguinea reicht und sogar vom Weltall aus gesehen werden kann, habe noch jeden verzaubert, wurde mir gesagt. Magisch schön sei es! Great! Ein Wahnsinn! Doch bevor der Zauber losgeht, muss man nach Cairns, die Einflugschneise für Reef-Touristen. Hier legen die meisten Boote ab, hier reiht sich ein Hostel nach dem anderen. „So schön das Reef ist, so hässlich ist Cairns“, hat Axel, ein Freund, der selbst schon mal auf Weltreise war, mich vorab gewarnt. „Da gibt’s genau nix, man kann nur essen und schlafen. Und die Aborigines sind obdachlos oder in Themenparks abgeschoben.“

Ich war auf das Schlimmste vorbereitet, kampflos aufgeben wollte ich aber trotzdem nicht. Also hab ich eine Cairns Nightwalking Tour gebucht. Irgendetwas außer hunderten Fledermäusen in den Bäumen – manche Wipfel waren ganz schwarz – musste es in dieser gottverlassenen, schwülen Stadt doch geben?

 

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Gestatten, das ist Quey. Er mag Tattoos, Piercings und Cairns – die Stadt, die sonst keiner mag. Mit seiner „Nightwalking Tour“ (cairnsurbanadventures.com) hat er mir die schönen Ecken der Einflugschneise für Reef-Touristen gezeigt.

 

„Wir haben einen Zoo oben in der Kuppel unseres Casinos“, strahlte mein Guide Quey (sprich: Kju-i) mich an. Quey heißt nicht wirklich so. Sein Name ist eigentlich Danny. Aber wenn man Skater sein will, dann ist Danny uncool. Also wurde ein Fantasie-Name fabriziert und dieser ist geblieben. Quey passt nach Cairns ungefähr so gut wie ein Känguru nach Wien – nämlich gar nicht. Er ist ganzkörpertätowiert, die Ohrläppchen sind zu Fleischtunneln gedehnt,  durch die Nase ist ein Ring gestochen, seine Unterlippe ist zweimal gepierct. Eigentlich stammt Quey aus Neuseeland. Seit vier Jahren lebt er mit seiner „missus“ und dem Nachwuchs in Cairns. „Wir lieben es hier: Der Regenwald ist gleich ums Eck, ich kann in der Früh fischen gehen und außerdem: Wo hat man sonst ein Krokodil am Dach eines Hauses?“, meinte er und zeigte dabei auf Goliath, ein vier Meter langes Salzwasserkrokodil, das lauernd am Beckenrand seines Reichs – dem Wildflife Dome – lag. „Goliath war mal ein Zuchtkrokodil für Louis Vuitton. Das Unternehmen betreibt 80 Kilometer von hier eine Farm, da kommt das ganze Krokoleder für die Handtaschen her.“

 

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Ein Zoo am Dach. Unter der Glaskuppel des Casinos leben Kängurus, Krokodile (das ist im Bild ist nicht das Louis Vuitton Zuchtkrokodil Goliath, bei ihm ging mir leider der Akku der Kamera aus) …

 

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… Papuaschwalme (meine Favoriten! Sehen aus wie eine Mischung aus Eule, Comic-Vogel und Breitmaulfrosch) …

 

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… und Papageien mit Friseurambitionen.

 

„Ich hab mich schon gewundert, warum es hier in der Stadt nur Louis Vuitton, aber sonst keine Luxusboutiquen gibt ,“ entgegnete ich. „Aber sag mal Quey, wenn Goliath die Ladies reihenweise bestiegen hat, warum ist er jetzt ganz allein im Becken?“ – „Das letzte Weibchen, das ihm hier Gesellschaft leisten sollte, hat er gekillt. Jetzt ist er allein hier, seit 12 Jahren schon.“ 

In diesem Moment hoppelte ein Zwerg-Känguru durch den Casino-Zoo. Und ein Kakadu setzte sich auf Queys Schulter, darum berühmt,  mit dem Schnabel seine Piercings aus der Lippe zu ziehen. „JoJo, hör auf,“ schimpfte Quey den Vogel.

„Kennst du alle Viecher im Zoo mit Namen?“, fragte ich.

„Ja, die haben alle Namen, sie sind wie Freunde für mich“, antwortete er und führte mich aufs Dach, wo wir uns – mit Schutzhelm und Gurten gesichert – Cairns aus der Vogelperspektive ansehen konnten.

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A: Bauarbeiterin? B: Touristin? C: Lebensmüde? Antwort B.

 

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Quey am Dach des Casino-Zoos, er nennt es sein „Freiluft-Büro.“

 

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15 Minuten von Cairns entfernt beginnt der Regenwald.

 

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Man sieht vor lauter Bäumen den Boden nicht.

 

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Grün wohin man schaut. Die Eisenbahn-Linie haben übrigens ambitionierte Goldgräber gebaut.

 

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Sonnenuntergang in Cairns. Okay, kann doch was.

 

„Warst du schon mal beim Reef, Quey?“, fragte ich, während wir auf die Häuserschluchten und das Meer vor uns schauten. Und da war Quey, der sonst immer redet, plötzlich still. „Nein, es ist zu teuer. Wir haben drei Kinder. Ein Tag am Reef kostet 150 bis 250 australische Dollar pro Person, das musst du dir erstmal leisten können.“

„Läuft das Geschäft mit den Touristen denn nicht gut?“

„Doch, aber vielen wollen von hier nur in den Regenwald und zum Korallenriff, die glauben gar nicht, dass es in Cairns was zu sehen gibt. Die denken alle nur, hier sind Hostels und obdachlose Aborigines.“

„Stimmt ja auch ein bisschen, oder? Das mit den Aborigines ist schlimm.“

„Ja, aber es gibt immer zwei Seiten. Dass man ihnen das Land weggenommen hat, ist unentschuldbar. Ich finde, irgendwann muss trotzdem nach vorne blicken. Viele kassieren Kompensations-Gelder und Unterstützung vom Staat und bemühen sich nicht um einen Job. Wer arbeiten will, findet auch Arbeit. Schau mich an: Mit meinem Aussehen stellt mich doch keiner ein. Also habe ich mich selbständig gemacht. Und wenn eine Woche nicht gut läuft, dann putze ich im Krankenhaus, das ist mein Zweitjob.“

Für Quey ist Cairns – auch ohne das Great Barrier Reef je gesehen zu haben – ein schöner Platz. Als ich am nächsten Morgen, vollgepumpt mit Ingwer-Kapseln gegen Seekrankheit mit 20 anderen Schnorchelwilligen aufs offene Meer hinaus bretterte, musste ich darüber nachdenken, was er zum Abschied sagte: „Manchmal reicht es zu wissen, dass diese schönen Plätze auf der Welt existieren. Man muss sie nicht unbedingt mit eigenen Augen sehen.“ Hatte er Recht? Hätte ich mir die zwei Stunden Fahrt durch Wind und Wellen ersparen können? Bevor ich zu einer Antwort kommen konnte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. „Hier, zieh das an!“, reichte mir der Skipper einen schwarzen Ganzkörpergymnastikanzug. Kein dickes Neopren, ein leichteres Material. „Das ist zum Schutz vor Quallen, ein paar können leider immer auftauchen.“ Als das Boot ankerte, stand ich wie Catwoman an der Reiling. Vor mir tiefblaues Nichts. Und 100 Meter entfernt helle Flecken im Meer. So als hätte man mitten im Ozean Sand aufgeschüttet, der nun durchs Wasser glitzert.

 

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Zwei Stunden brettert man auf offene Meer hinaus. Wer dann noch nicht seekrank ist, wird belohnt.

 

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Voila! Die hellen Flecken sind Teile des Great Barrier Reefs. Sehr kleine Teile wohlgemerkt, insgesamt ist das Weltnaturwunder 2.300 Kilometer lang.

 

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Keine Sorge, der Catwoman-Aufzug ist nur eine Sicherheitsmaßnahme gegen Quallen. Ich mein das nicht ernst. Wirklich nicht!

 

„Das ist es?“, rief ich dem Skipper zu.

„Das ist es!“, nickte er, kontrollierte meine Taucherbrille und schickte mich mit einer Schwimmnudel ins Meer.

Die Schwimmnudel kratzt ein bisschen an der Würde. Ich meine, wer gibt schon gerne zu, dass er mit einem Behelf aus Polyethylenschaum das Great Barrier Reef erkundet hat? Aber zwei Stunden im offenen Meer zu schwimmen kann ermüden. „Außerdem hilft uns die Nudel, dass die Leute nicht mit ihren Flossen auf die Korallen steigen, sondern sich treiben lassen.“ 

Und so kämpfte ich mich wie ein patscherter Seehund durch die Wellen, darum bemüht, zu vergessen, dass ich in Gefilden bin, wo Haie gerne speisen. „Runterschauen, gleich seid ihr da!“, tönte es vom Boot. Und plötzlich wurde es ganz still in meinem Kopf – und ich schaute. Dort, wo sich gerade eben noch Tiefseeblau und sonst nichts fand, zeichnete sich mit jedem Flossenschlag mehr eine gigantische Felsformation mit Steilklippen ab. Und je näher ich dem Felsen kam, desto bunter und lebendiger wurde er. Vor mir taten sich weiße, blaue, violette und pinke Korallen auf. Manche hatten die Form eines riesigen Gehirns, andere wiederum waren klassisch verästelt. Ich schwamm auf Seeanemonen zu, deren hunderte kleine Arme mir im Rhythmus des Meeres freundlich zuzuwinken schienen. Dazu: Fischschwärme in blau und pink, Modelle mit Zebramuster und dicken Lippen. Einmal ums Eck geschwommen, plötzlich ein graues Schlachtfeld. Versteinerte Gerippe, geopfert am Kriegsschauplatz des Tourismus, ein Friedhof im Meer. Da was Millionen von Jahren brauchte, um zu wachsen – zack, mit einer achtlosen Berührung vorbei. „Es sind nicht allein die Touristen, die dem Riff zusetzen“, erklärte später der Skipper am Boot. „Vor allem die Erwärmung der Erdoberfläche trägt zum massiven Korallensterben bei, das Wasser wird schlicht zu warm, es fehlt an Sauerstoff. Obendrein wird durch die weltweit steigende CO2-Emission das Meerwasser sauer, das greift die Kalkschalen an.“

Keine Ahnung, wie lange ich wirklich im Riff herumgetrieben bin. Zwei Stunden? Zweieinhalb? Es mag abgedroschen klingen und so als hätte mich das australische Tourismusbüro dafür bezahlt, aber die dargebotene Schönheit ließ mich Raum und Zeit vergessen. Obwohl ich an eine Stelle oft zurückgeschwommen bin – eine 2 Meter weite Koralle in Kanariengelb hatte es mir angetan – es gab immer wieder Neues zu entdecken. Ein Krustentier, das aus einem Loch schaute und mit seinen Scheren nach Nahrung schnappte. Eine Koralle, die auf einer anderen wuchs. Fische mit Mustern, so unglaublich, dass ich unweigerlich denken musste: „Wenn man das auf Stoff bannen könnte, das wären die schönsten, aber wahrscheinlich auch arg kitschige Kleider.“

Irgendwann war der Spaß dann aber doch vorbei. Mir war kotzübel. Die Wirkung der Ingwerkapseln hatte nachgelassen und der Gedanke daran, zwei Stunden auf rauer See zurückzufahren, ließ mich innerlich aufheulen.

„Schieß Unterwasser viele Fotos“, hatte eine Freundin vor meinem Ausflug gesagt. Ich habe kein einziges Bild gemacht. Ich hatte im Wasser nicht einmal eine Kamera dabei. Und es war die beste Entscheidung. Ich konnte in Ruhe schauen – ohne darüber sinnieren zu müssen, ob der Fisch jetzt verschwommen ist oder nicht (sorry, das Wortspiel musste sein). Das, was ich gesehen habe, ist in meinem Herz und in meinem Hirn.

Zurück am Pier kam ich an einem Postkartenständer vorbei. Vor meinem Bootsausflug hätte ich bei den Motiven – Unterwasserfotos von Nemo, Anemonen und Schildkröten– noch die Nase gerümpft und geätzt: „Oh Gott, das ist doch alles mit Photoshop bearbeitet.“ Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Die Farben, die Formen, die unpackbare Vielfalt. Alles wie beim Reef. Ich hab drei Karten gekauft. Eine für meine beängstigend kluge Schwester. Eine für die Oma. Eine für die Eltern.

„Es sieht wirklich so aus!“ hab ich geschrieben. Mehr nicht. Damit sie wissen, dass dieser schöne Platz tatsächlich existiert und sie ihn in sieben bis zehn Werktagen (so lange braucht die australische Post nach Europa) mit eigenen Augen sehen können.

 

 

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